Voreingenommenheit erkennen

Trends / Echtheit
visualspace
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Yuri Endo
März 24, 2022
Das heutige Verständnis des Begriffs Stereotyp wurde vom Pulitzer‑Preisträger und Journalisten Walter Lippmann geprägt. In seinem 1922 erschienenen Buch Public Opinion[1] definiert er den Begriff als „Bilder, die wir von einer bestimmten Gruppe von Menschen im Kopf haben“. Stereotype entstehen durch das, was wir sehen, hören und erleben. Sie können durch verschiedenste soziale Einflüsse vermittelt oder verstärkt werden, z. B. durch Freunde, Familie, Gleichaltrige, Bildung oder die Medien. Zu den bekanntesten visuellen Stereotypen zählen Männer in Führungspositionen oder als Superhelden, Frauen in der Funktion als Hausfrau, fülligere Menschen auf Diät, Menschen der LGBTQ+ Gemeinschaft in einer Paarbeziehung und ältere, als pflegebedürftig dargestellte Menschen werden schon seit langem in den Vordergrund gestellt. Stereotypisierungen können unsere Wahrnehmung eines Individuums oder einer Gemeinschaft verzerren, die nicht dem Stereotyp entsprechen. Dies kann uns daran hindern, Dinge neutral, unvoreingenommen oder objektiv wahrzunehmen.
Wie die jüngsten Ergebnisse unserer VisualGPS‑Studie zeigen, glauben acht von zehn Verbrauchern weltweit, darunter auch in Japan, dass es gut ist, unterschiedliche Menschen zu sehen. Ein ähnlicher Anteil gab aber auch an, dass sie sich beim Anblick vertrauter Bilder wohler fühlen als bei der Auseinandersetzung mit ungewohnten Bildern. Mit anderen Worten: Wir entscheiden uns immer wieder für Bekanntes und stellen Unbekanntes instinktiv infrage. Dies zeigt sich darin, dass zwar einer von zwei Verbrauchern in Japan (ggü. zwei von drei weltweit) glaubt, dass andere uns gegenüber voreingenommen sind, wir selbst aber nicht zugeben, dass wir voreingenommen sind. Wir alle tragen Voreingenommenheit mit uns herum, auch wenn wir sie bei uns selbst nicht erkennen.
Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass nur 3 % der Verbraucher in Japan (ggü. 14 % weltweit) Diversität bei den Unternehmen sehen, deren Produkte sie kaufen. Daher ist es wichtig, mit Stereotypen zu brechen und Bilder zu wählen, die die Vielfalt und Vielschichtigkeit unserer Gesellschaft und Menschen abbilden.

Darüber hinaus ergab eine Studie von Kantar aus dem Jahr 20212, dass inklusive Werbung, die traditionelle Stereotype in Frage stellt, bei den Verbrauchern besser ankommt und eine längere Wirkung auf sie hat. Beziehungen innerhalb unserer Gesellschaft herzustellen bedeutet, dass wir den Blick auf die Unterrepräsentierten richten und verstehen, was jeden von uns einzigartig macht. Darüber hinaus wird die Präsenz von Gruppen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, dazu beitragen, Voreingenommenheit jetzt und in Zukunft abzubauen.

Wie „fühlt“ sich Voreingenommenheit an? Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass einer von fünf Verbrauchern in Japan (ggü. zwei von drei weltweit) unabhängig vom Geschlecht dieses Gefühl haben, wobei Körperbau und Alter als häufigste Gründe genannt wurden. Während sich bei Verbrauchern weltweit insbesondere jüngere Frauen vorwiegend aufgrund ihrer Körperform benachteiligt fühlen, vor allem, weil sie „zu dick sind“, sind es in Japan eher Männer der Generation X, die sich aus demselben Grund diskriminiert fühlen.
Unsere Untersuchungen haben auch die Visualisierung der LGBTQ+‑Gemeinschaft näher analysiert und hier eine Korrelation zwischen Repräsentation und Voreingenommenheit offengelegt. Dies hat gezeigt, das besonders in Ländern, in denen die LGBTQ+‑Gemeinschaft häufiger repräsentiert ist, die Voreingenommenheit in der Regel geringer ist. Wenn Gruppen gesehen werden, fühlen sie sich besser akzeptiert und nicht mehr marginalisiert. Wie wir bereits in einem anderen Artikel3 erwähnt haben, müssen wir uns jedoch auch darüber im Klaren sein, dass, wenn Menschen der LGBTQ+ Community in der Werbung und den Medien dargestellt werden, die verwendeten Bilder oft auf Stereotype reduziert sind: feminine Männer, maskuline Frauen und Regenbogenflaggen. Sie stellen zwar reale Teile der Community dar, aber diese Darstellungen wurden in der Vergangenheit überstrapaziert und haben ihre ursprüngliche Wirkung verloren. Es wird zunehmend wichtiger, neben diesen Klischees auch andere Storys zu erzählen.
Unsere jüngsten Untersuchungen haben auch gezeigt, dass Menschen, die mehr als einer Voreingenommenheit ausgesetzt sind, mindestens noch einige mehr erleben. Wir alle haben mehrere sich überschneidende Identitäten und diese Überschneidungen prägen häufig unsere Erfahrungen mit Diskriminierung. Wir müssen alle Aspekte der sich überschneidenden Identitäten im Auge behalten, wenn wir uns visuelle Darstellungen ansehen. Wenn wir zum Beispiel die in diesem Artikel verwendeten Bilder betrachten, wird deutlich, dass die Umkehrung von Vorurteilen und das Wissen darum die Inklusion voranbringen kann. Durch die Betrachtung dreidimensionaler Darstellungen von Menschen mit einzigartigen persönlichen Merkmalen können wir unsere Vorstellung davon ändern, wie solche Menschen oder Gemeinschaften sein sollten:

  • Ein Vater beim Wickeln seines Babys. Hier wird ein breites Spektrum an männlichen Emotionen und Verhaltensweisen dargestellt. Ein fürsorglicher Mann zu sein und anderen Zuneigung, Bestätigung und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
  • Eine ältere Geschäftsfrau unterhält sich in ihrem Büro mit ihren Kunden. Es wird ein authentischeres Bild des Alterns gezeichnet und neu definiert, was es bedeutet, älter zu werden.
  • Männer unterschiedlicher Statur und jeden Alters unterhalten sich fröhlich miteinander. Insbesondere der Mann im blauen Hemd wird nicht stereotyp als Mann dargestellt, der sich um seine Figur sorgt, sondern als Mann, der sein Leben in vollen Zügen lebt.
  • Ein LGBTQ+ Mann kocht mit seiner Mutter, im Fokus steht nicht nur seine Zugehörigkeit zur LGBTQ+ Community, sondern mehrere Aspekte seiner Identität: Er ist auch Sohn und begeisterter Koch. Wir sehen mehr als nur Pride und romantische Beziehungen.
  • Eine Frau mit einem dunkleren Hautton und einem unvollkommenen Hautbild lächelt authentisch während ihrer Sportübungen. Sie stellt die Normen asiatischer Schönheit infrage und zeigt ihr natürliches Aussehen. 
  • Ein Handwerker mit einer großen Tätowierung, der während seiner Arbeit sanft lächelt und damit das in Japan weit verbreitete Missverständnis ausräumt, wonach Tätowierungen mit kriminellen Verbindungen gleichgesetzt werden.
Quellen
[1] Goodreads
[2] ADWEEK
[3] Creative Insights
Konsumgüter im Jahr 2022