Die Fotografinnen des Bell Collective

Best of / Best of Creative
Alina Rudya/Bell Collective
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Amy Lehfeldt
Juni 10, 2022
Im letzten Jahr hatte ich Gelegenheit, mit einer Gruppe von sich als Frauen identifizierenden Fotografinnen zusammenzuarbeiten, die sich Bell Collective nennen. Diese vielseitige Gruppe verfolgt ein gemeinsames Ziel: durch visuelles Storytelling Stereotype über das weibliche Reiseverhalten und die Allgegenwärtigkeit der männlichen Perspektive in der Fotografie zu hinterfragen. Jede hat ihren eigenen Stil und ihre eigene Herangehensweise an Reisefotografie, was sehr erfrischend und authentisch wirkt. Vor kurzem habe ich mich mit der Gründerin Alina Rudya zusammengesetzt und mit ihr über ihre Karriere gesprochen und wie wichtig es ist, Fotografinnen zu unterstützen.
[Amy Lehfeldt]: Warum haben Sie das Bell Collective gegründet? Wie kam es dazu?
[Alina Rudya]: Ich war eine Zeit lang sehr aktiv auf Instagram und wurde als Reisefotografin und Influencerin zusammen mit anderen Influencern in verschiedene Länder eingeladen, um Inhalte für Kunden zu fotografieren. Dabei war ich häufig die einzige Frau. Zuerst fand ich es cool, weil ich Abenteuer mag, gerne wandere und ohnehin um die ganze Welt reiste, aber ich fühlte mich immer mehr wie einer der Jungs. Gleichzeitig musste ich feststellen, dass viele Kunden Frauen für weniger abenteuerlustig hielten oder meinten, dass manche Berufe für Frauen zu gefährlich seien. Außerdem fiel mir beim Scrollen durch Instagram auf, dass Reise‑Influencerinnen unverhältnismäßig oft als am Pool sitzend, in einem schönen Kleid und als Muse für jemand anderen dargestellt wurden, während ihre männlichen Kollegen in eher herausfordernden Situationen zu sehen waren. Frauen wurden in den sozialen Medien klischeehaft dargestellt. Ich und ein paar Freundinnen waren definitiv nicht so und wollten als Reisefotografinnen nicht unser Gesicht zeigen, um erfolgreich zu sein, sondern eher unsere Arbeiten. Die Repräsentation von Frauen ist mir wichtig, nicht nur um meine eigenen Arbeiten zu zeigen, sondern auch um die Beiträge anderer Frauen innerhalb einer vielfältig aufgestellten Gruppe zu zeigen.
Ich musste feststellen, dass viele Kunden Frauen für weniger abenteuerlustig hielten oder meinten, dass manche Berufe für Frauen zu gefährlich seien.
[AL]: An welchen Projekten hat das Bell Collective gemeinsam gearbeitet?
[AR]: Als ich das Kollektiv 2017 gründete, wollte ich so viele verschiedene Künstlerinnen wie möglich präsentieren. Nachdem ich mit einigen großen Kunden gearbeitet hatte, begann ich, einigen meiner Kunden Freundinnen und Frauen vorzuschlagen, mit denen ich zusammengearbeitet hatte. Ich dachte, es wäre toll, mit anderen Frauen zusammenzuarbeiten. Inzwischen haben wir für Mercedes Benz gearbeitet und sind dazu gemeinsam an verschiedene Orte gereist. Wir haben auch für Nikon gearbeitet. Ich habe auch ein Buch über das Bell Collective zusammengestellt, in dem vierzehn verschiedene Frauen vorgestellt werden, die das Reisen aus unterschiedlichen Perspektiven und in verschiedenen fotografischen Stilen betrachten, um deutlich zu machen, dass es nicht nur eine Art von Fotografin und einen weiblichen Blick gibt.
 
[AL]: Sie sind Künstlerin, aber auch Mentorin und Dozentin. Können Sie mir etwas über Ihre Arbeiten für Nikon und andere Tätigkeiten als Mentorin verraten?
[AR]: Klar. Wir haben ein paar Arbeiten für Nikon gemacht und arbeiten auch weiterhin für das Unternehmen. Gemeinsam mit einer anderen Fotografin vom Bell Collective leiten wir als Mentorinnen Online‑Workshops. Im vergangenen Monat hat das Bell Collective eine dreitägige Netzwerkveranstaltung für Mitglieder der Gruppe mit Workshops, Fototouren, Portfoliobesprechungen und einer Ausstellung speziell für Frauen in Berlin organisiert. Die Idee entstand, nachdem ich an verschiedenen Fototouren teilgenommen hatte, die überwiegend von Männern besucht wurden. Ich fragte meine Freundinnen, die sich für Fotografie interessierten, warum sie nicht mitmachten, und sie sagten, dass sie sich nicht wohl fühlten und Angst hätten, Fragen zu stellen, weil sie von Männern belehrt und belächelt werden würden. Ich kenne das aus meinem eigenen Workshop, wo Männer mir schon gesagt haben, wie ich bessere Bilder machen könnte.

[AL]: Ich kann mir vorstellen, dass manche Männer zu technisch und zu sehr auf die Perfektion des Bildes fixiert sind und die Gesamtaussage eines Bildes übersehen.  
[AR]: Das ist schade, denn bei Nikon habe ich andere technisch sehr versierte Mentorinnen kennen gelernt. Der technische Aspekt ist sowohl für Männer als auch für Frauen wichtig, aber dieses Wissen allein macht noch keine gute Fotografin bzw. keinen guten Fotografen aus. Das gilt vielleicht eher für Studioporträts und Produktfotografie, aber wenn man sich für die People Fotografie interessiert oder wenn man lernen will, wie man mit natürlichem Licht fotografiert, oder wenn man einfach nur als Amateurin tolle Bilder machen will und keinen perfektionistischen Anspruch hat, gibt es so viele andere Optionen, eine bessere Fotografin zu werden.
Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass es nicht nur eine Art von Fotografin und nicht den einen weiblichen Blick gibt.
[AL]: Ich habe mir heute Früh Ihren Podcast angehört – mir gefällt, dass Sie dazu unterschiedlichste Künstlerinnen einladen und wichtige Themen der Branche ansprechen. Können Sie etwas darüber erzählen, warum Sie diesen Podcast ins Leben gerufen haben und worüber es hier geht?
[AR]: Wir haben ja nur eine Staffel produziert, aber es hat mir wirklich Spaß gemacht. Ich wollte mit verschiedenen Fotografinnen über ihre Arbeit sprechen, denn es gibt so viele verschiedene Aspekte und so viele ähnliche Probleme, obwohl wir in ganz unterschiedlichen Bereichen arbeiten. Sie alle haben Probleme mit der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und mit Kunden, die sie als weniger professionell als Männer ansehen und in manchen Situationen auch schlechter bezahlen. Ich denke, die meisten sind ziemlich knallharte Frauen, die wissen, wie man diese Dinge verhandelt, aber wir wissen auch, dass es sehr wichtig ist, diese Art von Gespräche zu führen, damit diese Frauen der nächsten Generation von Fotografinnen ein Vorbild sein können. Ich habe einmal an einem Workshop zum Thema Verhandlung und Honorare teilgenommen, und in der Gruppe waren sowohl Männer als auch Frauen. Als die Trainerin nach dem Tagessatz fragte, gaben alle Männer etwa das Doppelte an wie die Frauen. Ich weiß nicht, ob sie da gelogen haben oder ob Männer so sozialisiert sind, dass sie sich einfach durchsetzen und wirklich bekommen, was sie wollen.
 
[AL]: Ich glaube, es ist wichtig, über Preise und Verhandlungsführung zu sprechen. Die Vermarktung als Fotografin ist für den eigenen Erfolg unerlässlich. Ich war doch erstaunt, in einem Ihrer Interviews zu hören, dass Sie sich manchmal nicht trauen, um etwas zu bitten. Auf mich wirken Sie ziemlich selbstbewusst und kommunikativ.
[AR]: Genau deshalb ist es wichtig, mit anderen Frauen zusammenzukommen, ihre Perspektive zu hören und zu erfahren, wie sie ihre Preise für ihre Kunden gestalten. Das ist manchmal sehr überraschend. Man kann mit zwei Frauen mit ähnlichen Qualifikationen sprechen, und die Preise können sehr unterschiedlich sein, weil die eine Person vielleicht nicht von einer Gemeinschaft oder jemandem unterstützt wird, der ihr sagt, sie sei mehr wert.  
 
[AL]: Lassen Sie uns über den unternehmerischen Aspekt als Fotografin sprechen. Die meisten Menschen beginnen mit der Fotografie und haben keine Ahnung vom geschäftlichen Teil.  
[AR]: Ich muss gestehen, ich hatte wirklich Glück, denn ich zähle nicht zum Typ geborene Unternehmerin. Ich wurde bei Instagram als Suggested User geführt, also anderen Nutzern empfohlen, so dass ich sehr schnell eine gewisse Anzahl von Followern erreichte. Natürlich nicht Millionen, aber es reichte aus, dass Kunden auf mich zukamen und mir Projekte anboten. Ich bin Instagram sehr dankbar dafür, weil ich dadurch die Möglichkeit bekam, durch die Welt zu reisen. Heute ist mir das klar. Ich denke, viele Fotografinnen haben diese Möglichkeit nicht und müssen ein Portfolio erstellen, sich für Jobs bewerben, ein Netzwerk von potenziellen Auftraggebern aufbauen oder eine Agentur finden. Das kann ein wirklich schwieriger Prozess sein, und sich wie ein Unternehmer zu vermarkten bedeutet, dass man nur ein paar Tage im Monat fotografiert, weil man ja tatsächlich E‑Mails schreiben und beantworten muss, um Aufträge zu bekommen. Ich bin wirklich dankbar, weil ich weiß, dass es da draußen einige tolle Fotografinnen und Fotografen gibt, die kein Geld verdienen. Das betrifft vor allem Frauen, weil Frauen immer noch sozialisiert werden, mit weniger zufrieden zu sein und an ihren Fähigkeiten zu zweifeln.
[AL]: Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
[AR]: Mein Vater hat mich zur Fotografie gebracht. Er war Atomphysiker in Tschernobyl, aber eben auch Amateurfotograf und hatte alle möglichen alten sowjetischen Analogkameras herumliegen. Und unser Badezimmer war seine Dunkelkammer. Als ich zwölf war, bekam ich meine kleine Plastikkamera, aber ich wusste nicht wirklich, was ich damit anfangen sollte, denn in der Ukraine gab es keine professionelle Ausbildung. Ich habe dann erst mal Politikwissenschaft und Journalismus studiert und zwei Magisterabschlüsse gemacht, bevor ich in Berlin Fotografie studierte. Ich habe gelernt, wie man eine Dunkelkammer nutzt, wie der Film entwickelt und getrocknet wird und haben dann in der Schule Abzüge gemacht. In letzter Zeit habe ich wieder viel analog fotografiert, einfach so zum Spaß. Und auch, weil ich die Qualität von Film sehr schätze: die Tiefe, die Farben, die Körnung. Ich glaube, ich höre mich gerade wie ein Hipster an – es ist ein sehr kostspieliges Hobby. Es war toll, das alles zu lernen, aber für meine Kunden arbeite ich heute mit digitaler Fotografie.
 
[AL]: Haben Sie einen kreativen Rahmen oder Stil, an den Sie sich halten?
[AR]: Ich bevorzuge natürliches Licht und ich mag es, mit dem Licht zu spielen. Ich mag auch Farbkontraste. Photoshop mag ich eher weniger, auch nicht, meine Bilder allzu sehr zu bearbeiten. Ich schaue, welche Farben in der Umgebung sind, und versuche, sie zu betonen oder miteinander zu kombinieren. Oft können Leute, die mir auf Instagram folgen, die Bilder wiedererkennen, weil sie immer so lebendig und bunt sind.
 
[AL]: Sie sind auch Drohnenpilotin. Wie kam es dazu und haben Sie dabei etwas Neues gelernt?
[AR]: Ich werde demnächst bei Domestika einen Online‑Kurs für Drohnenfotografie anbieten. Ich habe damit angefangen, weil ich mit ein paar Leuten unterwegs war, die alle Drohnen hatten. Ich dachte, ich würde es gerne mal ausprobieren, hatte aber auch Bedenken, dass es nicht wirklich kreativ ist. Ich dachte, dass es einfach nur ein anderer Blickwinkel sei. Ich fing an, mit einer kleinen DJI Spark Aufnahmen von oben zu machen. Ich porträtierte meine Freunde und mich selbst und habe dabei entdeckt, dass man mit Drohnen so viele kreative Aufnahmen machen kann, dass ich mich immer mehr dafür begeistert habe. Nach einiger Zeit begann ich, Video zu erstellen und aktuell mache ich gerade ziemlich viele Videos. In Berlin zu drehen ist wegen der Auflagen schwierig, also habe ich mich um meine professionelle Drohnenlizenz bemüht, denn wenn man kommerziell arbeiten will, muss man eine Genehmigung mit einer professionellen Lizenz beantragen.
[AL]: Sie sind um die ganze Welt gereist. Gibt es einen Ort, der Sie völlig überrascht hat, der nicht Ihrer Vorstellung entsprach?
[AR]: Der Iran entsprach definitiv nicht meinen Erwartungen. Alle haben mir gesagt, wie toll es dort ist und wie freundlich die Menschen sind, aber man hat ein bestimmtes Bild im Kopf. Ich hatte nicht erwartet, dass so viele Menschen Englisch sprechen oder so aufgeschlossen sind. Das Land ist seit jeher bekannt für seine beeindruckende Architektur, sein Essen und seine freundlichen Menschen. Wenn man in ein anderes Land reist, versuchen die Menschen normalerweise, einem etwas zu verkaufen, aber dort haben sie mir tatsächlich Geschenke gemacht. Das war eine beeindruckende Erfahrung und ich hatte großes Glück, von einer Freundin eingeladen zu sein, die auch eine Rundfahrt organisierte. Natürlich bemühen sich alle, einem das Land von seiner schönen Seite zu zeigen, und mir ist klar, dass es politische und gesellschaftliche Themen gibt, die nicht übersehen werden dürfen. Wir sehen immer nur die negativen Seiten, also ist es doch gut, auch die schönen Seiten zu sehen, um zu erkennen, dass nicht alles so schwarz‑weiß ist.
 
[AL]: Gibt es noch andere Orte, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind, entweder wegen der besonderen Umgebung oder wegen des außergewöhnlichen Lichts?
[AR]: Für mich gibt es drei Orte, die zu den schönsten gehören, die ich je besucht habe, und zu zwei von ihnen komme ich immer wieder zurück. Island ist ein wunderschönes Land, in dem ich bereits sechs Mal war. Ich liebe das nordische Klima und die Vorstellung, dass Menschen es bis in den hohen Norden geschafft haben und dort ein schönes Leben führen können. Die Wetterbedingungen sind auch absolut atemberaubend, und ich mag die Stimmung in diesem Land. Es ist gibt wenig Menschen und man kann stundenlang fahren, ohne jemanden zu sehen, nur Tiere und die außerirdische Landschaft. Island kann einsam wirken und gleichzeitig ein Ort sein, an dem man eins wird mit der Natur und versteht, wie klein man selbst und wie groß das Universum ist. Das ist einer der Orte, an dem man andere Menschen vergessen und einfach nur auf den Horizont schauen und träumen kann. Ein anderes Land, das mir sehr am Herzen liegt, ist Bolivien. Es war absolut atemberaubend und eine der günstigsten, aber eindrucksvollsten dreitägigen Reisen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Der Himmel ist überwältigend. Und natürlich meine Autoreisen durch Kalifornien, Arizona, Nevada und Utah. Ich habe diese Reise zwei Mal mit meinem Mann gemacht und ich glaube, Kalifornien deckt wirklich alles ab. Wenn ich in Kalifornien leben würde, müsste ich nirgendwo anders mehr hinreisen!
 
[AL]: Auf welche anstehenden Projekte freuen Sie sich?
[AR]: Ich freue mich darauf, nicht nur als Fotografin zu arbeiten, sondern auch unser Kollektiv zu erweitern und mit anderen Frauen zusammenzuarbeiten. Ich setze mich wirklich dafür ein, dass diese Art von Gemeinschaft wächst. Und es ist mir ein großes Anliegen, dass andere Frauen erfolgreich sind und gesehen werden. 
Der Fotograf Klaus Vedfelt